Arno Schmidt und die Fotografie
Unter den Fotografien aus dem Nachlass von Arno Schmidt haben sich Negative erhalten, die bereits aus den 1930er Jahren stammen. Diese frühen Fotografien zeigen eine Motivwahl, wie sie für Amateurfotografen typisch ist: die Lebens- und Arbeitswelt, Haus und Wohnung, Freunde und Familie kommen ins Bild, man fotografiert sich gegenseitig. Nicht immer ist eindeutig, wer die Aufnahmen gemacht hat: Arno Schmidt, Alice Schmidt oder sonst jemand. Manche Aufnahmen deuten auf den Gebrauch eines Selbstauslösers hin.
Die Kamera aus den dreissiger Jahren ging verloren. Vom Preisgeld des ersten Literaturpreises, den Arno Schmidt 1950 erhielt, wurde ein neuer Fotoapparat gekauft, was angesichts der höchst ärmlichen Lebensumstände der Schmidts darauf hinweist, wie wichtig ihnen das Fotografieren war. Mit der neuen Rollfilmkamera der Marke „Bonafix“ wurden bis in die sechziger Jahre Schwarz-Weiß-Aufnahmen gemacht. Neben dem Dokumentieren des Alltags und der Wohnorte lassen manche Porträts, vor allem aber die Landschaftsaufnahmen aufmerken. Ist Arno Schmidt in seiner fotografischen Praxis ein einfacher Amateur, man könnte auch sagen: ein Knipser, dem es zu genügen scheint, eine Aufnahme „im Kasten“ zu haben, ohne sie selbst vergrößern und zum Bild gestalten zu wollen, so zeigen manche dieser Aufnahmen aus den fünfziger Jahren einen Blick, der jenseits der konventionellen Amateur-Ästhetik eigene Wege geht. Das wird besonders deutlich in den Landschaftsbildern vom Dümmer, aus Ahlden und aus Lilienthal, die für einen Fotoamateur dieser Zeit überraschende, an die Traditionen der Neuen Sachlichkeit und des amerikanischen Dokumentarismus der dreissiger und vierziger Jahre erinnernde Auffassungen zeigen. Sie beziehen ihre Kraft nicht aus dem Bildinhalt, sondern aus der Strenge des Schwarz-Weiß-Grau, mit der die Linien und Flächen des bei Arno Schmidt stets quadratischen Bildes angeordnet sind.
Anläßlich seines fünfzigsten Geburtstages 1964 bekam Arno Schmidt von dem befreundeten Schriftsteller und Übersetzer Hans Wollschläger eine Yashica 44 geschenkt. Diese mit einem kleineren Rollfilmformat arbeitende zweiäugige Spiegelreflex-Kamera war eine japanische Version der berühmten Rolleiflex. Arno Schmidt benutzte sie fast ausschließlich für Farbdiapositive, mit denen er Haus und Garten in Bargfeld sowie die Landschaft der Südheide fotografierte. Die Landschafs- und Naturaufnahmen, die nun entstanden, lesen sich wie ein Bilderkatalog der Schmidtlandschaft. Wir finden hier eigentlich alle visuelle Elemente, die uns aus den entsprechenden Bildern seiner Prosa seit 1950 geläufig sind: die Flachlandschaft der weiten Felder und Wiesen mit ihren Kiefernborten am Horizont unter dem bewegten norddeutschen Himmel, die Heidebäche mit den erlengesäumten Ufern und blühenden Sumpfwiesen, die trockenen Kiefernwälder mit eingesprengten Wacholdergestalten und den schmalen, sandigen Wegen hindurch. Wir finden hier aber auch Aufnahmen, die ganz aus den bildnerischen Möglichkeiten der Farbfotografie gestaltet sind, indem sie Farbfelder gegeneinander absetzen oder Bildflächen aus einer Grundfarbe heraus aufbauen. Manche dieser Aufnahmen gehen in ihrer ästhetischen Qualität weit über das hinaus, was man von einem begabten Amateur erwarten kann.
Neben den Landschaftsbildern aus der Umgebung von Bargfeld finden sich eine Reihe von Naturaufnahmen – besondere Blüten und Früchte, ein Stück Waldboden mit Pilzen, ein durchsichtig-gläserner Wasserlauf - die in ihrer fotografischen Bildgestalt manchen Leistungen eines Sander, Hausmann oder Renger-Patzsch nahekommen.
Janos Frecot
Mehr dazu in den Bildbänden und in dem Essayband über Schmidt als Fotograf:
Vier mal vier
Fotografien aus Bargfeld. Auswahl, Nachwort: Janos Frecot. 123 Vierfarbfotos. Gestaltung: Friedrich Forssman 160 Seiten, 22×30 cm, Leinen. € 49,90 (978-3-518-80210-6)SchwarzWeißAufnahme
Fotografien von Arno und Alice Schmidt aus drei Jahrzehnten. Auswahl, Nachwort: Janos Frecot. 100 Duplexfotos. Gestaltung: Friedrich Forssman 128 Seiten, 22×30 cm, Leinen. € 49,90 (9783518802502)Arno Schmidt als Fotograf
Entwicklung eines Bildbewusstseins.Herausgegeben von Janos Frecot. Das zweisprachige Buch (deutsch und englisch) versammelt Essays von JanosFrecot, Gabriele Kostas, Rainer Stamm und Thomas Weski, die sich mit Schmidts Bildgestaltung, Erinnerungsfotografie und der Liaison zwischen Literatur und Fotografie beschäftigen. Mit zahlreichen Abbildungen. €29,80 (9783-7757-3149-2).